Lebensnahe Bildung im Fokus: Ein Gespräch mit Frau Wöger, der neuen pädagogischen Leitung der EALU

Wir gratulieren Frau Dr.in Dr.in Dr.in SABINE WÖGER, MSc MSc MSc MEd herzlich zu ihrer neuen Position als pädagogische Leitung bei der EALU. In einem exklusiven Interview teilt sie ihre Gedanken über ihre neue Rolle und wie sie ihre vielfältigen Erfahrungen und Expertisen in den Dienst der Ausbildungsprogramme stellt. Von ihren Überlegungen zur Integration digitaler Technologien bis hin zu ihrem persönlichen Weg mit der Logotherapie eröffnet Frau Wöger einen faszinierenden Einblick in ihre Vision für die Zukunft der Ausbildungen an der EALU.


Frau Wöger, herzlichen Glückwunsch zur neuen Position als pädagogische Leitung bei der EALU. Wie sehen Sie Ihre Rolle in dieser neuen Funktion im Vergleich zu Ihrer vorherigen Tätigkeit als Referentin?

Allem voran ist es mir wichtig, dem Team der EALU für das entgegengebrachte Vertrauen zu danken. Als mich Dr. Gstirner anrief, um zu fragen, ob ich diese Aufgabe übernehmen möchte, habe ich spontan zugesagt. Ich fühle mich bei der EALU rundum wohl, schätze die gelebte logotherapeutische Haltung, die kompetente Organisation und respektvolle Kommunikation im Kollegium und gegenüber den Studierenden.

Dankenswerterweise werde ich auch künftig als Referentin tätig sein. Als pädagogische Leitung verstehe ich mich als Initiatorin von Dialogen, die Reflexions- und Entwicklungsprozesse zu bildungspädagogischen Themen in Gang setzt. Ob es sich um kreative methodisch-didaktische Zugänge bezüglich der Gestaltung von Lernprozessen, um die nachvollziehbare Leistungsdokumentation und dem Erteilen von entwicklungsförderndem Feedback, oder um die Unterstützung der Studierenden beim Transfer der Logotherapie in ihre angestammte Kompetenz handelt, ich blicke diesen Aufgaben freudvoll entgegen.

 

Als Pädagogische Leitung sind Sie maßgeblich an der Weiterentwicklung der Ausbildungsprogramme beteiligt. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig? 

Um nachhaltig wirksame Lernprozesse zu ermöglichen, ist das sinnvolle Reihen und Ineinandergreifen der curricularen Inhalte bedeutsam. Ferner bedarf es der transparenten Kommunikation derselben gegenüber den Studierenden. Die Abstimmung diverser Bildungsvorhaben erfolgt in enger Absprache mit Dr. Klaus Gstirner, dem Leiter der EALU, und auf Basis gesetzlich verankerter Vorgaben.

 

Mit Ihrem breiten Spektrum an Fachgebieten, von Psychotherapie bis hin zu Erziehungs- und Bildungswissenschaften, wie werden Sie diese verschiedenen Disziplinen in Ihrer pädagogischen Leitung integrieren, um die Teilnehmenden unserer Ausbildungen zu unterstützen?

Im Zuge meiner langjährigen Tätigkeit in der Erwachsenenbildung befasste ich mich intensiv mit methodischen Wegen der Wissensvermittlung. Lernprozesse sollen abwechslungsreich, kreativ und tiefgründig gestaltet werden. Ich verfüge über einen umfangreichen Erfahrungs- und Wissenspool im Themenfeld Palliative Care, in der Begleitung von schwer kranken Menschen und ihren Angehörigen. Seit mehr als 20 Jahren engagiere ich mich für die Implementierung von Hospiz- und Palliativkultur in Alten- und Pflegeheimen. Ich biete beispielsweise Gruppenselbsterfahrung zu spezifischen Themen an, etwa zur Tragischen Trias Leid, Schuld und Tod. Jedoch darf auch ich von den Studierenden lernen, sie bringen wertvolle Erfahrungen und Ideen aus den unterschiedlichsten Lebensbezügen mit, und ich fühle mich in vielfacher Hinsicht durch ihre Beiträge bereichert.

 

Die EALU hat sich auf sinnzentrierte Beratung spezialisiert. Wie möchten Sie sicherstellen, dass die Absolvent:innen nicht nur über theoretisches Wissen verfügen, sondern auch die Fähigkeit besitzen, dieses in der praktischen Beratung erfolgreich anzuwenden?

Für die Weise und Qualität, in der die Absolvent:innen der EALU die gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen schlussendlich im Rahmen von sinnzentrierter Beratung umsetzen, kann ich keine Garantie übernehmen, zumal die angestammten Kompetenzen der Studierenden individuell und vielfältig sind.

Allem voran geht es darum, zu lernen, selbst zur Ruhe zu kommen, genau zuzuhören und neben den Nöten des ratsuchenden Menschen das Werdbare in den Blick zu nehmen.

Zentral ist eine ernsthafte Befassung mit Viktor Frankls Theorem. Die Existenzanalyse ist eine der Logotherapie zugrunde liegende Forschungsrichtung und zugleich ein therapeutischer Weg aus einer Sinnkrise. Es handelt sich um eine Anthropologie, die den Menschen in seiner leiblich-seelisch-geistigen Einheit und Ganzheit zu fassen sucht. Gemeint ist eine Analyse der Existenz und eine Analyse auf Existenz hin, eine verantwortungsvolle, wert- und sinnstiftende Lebensführung wird intendiert. Das Gewissen ist hierfür wegweisend.

Bedeutsam erachte ich das Wecken von Interesse und Neugier im Hinblick auf die Erprobung neuer Lebenszugänge und die Stärkung der Bereitschaft der Studierenden zur ehrlichen Selbstreflexion: „Wer bin ich durch Leidvolles geworden?“, „Welche Einstellung ist hilfreich?“, „Welche Freiräume stehen mir zur Berufungsentfaltung offen?“ oder „Welcher entschiedene Verzicht dient einem höheren Wert, etwa der Liebe oder der Kränkungsvermeidung?“

Um die Logotherapie unter die Menschen zu bringen, muss die Vorbereitung auf die berufliche Tätigkeit realitätsnah erfolgen. Der Transfer der Theorie in die konkrete Gesprächsführungspraxis, in einer für jedermann verständlichen Sprache, ist wesentlich.

Studierende stehen vor der Frage, von welchen logotherapeutischen Aussagen über den Menschen und von welchen Haltungen die Ratsuchenden profitieren würden und wie sie dieses Wissen nachvollziehbar darlegen können. Begriffe wie „prälogisches Seinsverständnis“, „Dimensionalontologie“ oder „Selbsttranszendenz“ bedürfen quasi einer Übersetzung, um realisier- und lebbare Wege der Lebensführung bei den Ratsuchenden zu eröffnen.

Anhand von Begegnungssequenzen aus der logotherapeutischen Praxis werden beispielsweise die Unterschiede zwischen einem freundschaftlichen Gespräch und einer sinnzentrierten Beratung erarbeitet. Letztere erhebt einen konkreten Auftrag und definiert ein an Werten und Sinn ausgerichtetes Ziel. Dementsprechend und basierend auf dem logotherapeutischen Menschenbild kommen ausgewählte Interventionen und Gestaltungselemente zum Einsatz. Frankl sprach sich gegen Standardisierung aus, hingegen trat er für ein individuelles Vorgehen und für den Mut zum Improvisieren ein.

 

In der heutigen digitalen Welt sind virtuelle Lernumgebungen immer präsenter. Wie planen Sie, die Nutzung digitaler Technologien in den Ausbildungen zu integrieren, um den Bedürfnissen der Teilnehmenden gerecht zu werden und gleichzeitig die sinnzentrierten Aspekte der Lehre zu bewahren?

Die Umstände inmitten der Coronavirus-Krise haben mich etwas direkter in die Thematik der virtuellen Lehre hineingeworfen als vorgesehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Erfahrung mit Online-Seminaren. Zunächst war ich zurückhaltend und überlegte, ob digital vermitteltes Lernen dazu geeignet sei, den mir überaus bedeutsamen Beziehungsaufbau zu den Seminarteilnehmenden herzustellen, und ob bzw. wie es möglich sei, das Seminar interaktiv zu gestalten. Nach anfänglichem Zögern entschied ich mich, tatkräftig unterstützt von meinem Ehegatten Wolfgang, dazu, diese Herausforderung anzunehmen, und adaptierte meine Lehrmethodik. Auch für die Teilnehmenden war diese Form der Lehre eine völlig neue Erfahrung. Einige von ihnen waren „noch gar nicht Freund mit dem Computer“, erzählten sie mir.

Ich schätze die geltende Aufteilung von Präsenz- und Online-Veranstaltungen bei der EALU. Die praxisnahe dialogische Erarbeitung von theoretischen Inhalten und sinnvollen Selbstwirksamkeitsideen sind gemäß meiner Erfahrung durch die Verschränkung von Präsenz- und Online-Lehre gesichert. Ferner erleichtert das Online-Format die lehrgangsübergreifende Teilnahme an Webinaren. Kosten und Risiken durch lange Anfahrtswege bleiben aus.

 

Wie können wir, inspiriert von Ihren Expertisen, eine Community aufbauen, die den Austausch über persönliche Sinnfindung und Selbstreflexion fördert? Welche Rolle sehen Sie dabei für sich als pädagogische Leitung?

Den Aufbau einer entsprechenden Community sehe ich nicht als primäre Aufgabe der pädagogischen Leitung, dafür reicht die Zeit bei den vielfältigen Themenfeldern nicht aus :). Bei konkreten Anliegen kann ich gerne unterstützend mitwirken.

 

Welche Herausforderungen sehen Sie in der heutigen Zeit für Menschen, die auf der Suche nach Sinn und Erfüllung sind, und wie können Bildung und Selbstreflexion dabei helfen, diesen Herausforderungen zu begegnen?

Wohin wir auch blicken, die Herausforderungen unserer Zeit sind enorm; die menschlichen Möglichkeiten, diese sinnvoll zu gestalten, sind jedoch um ein Vielfaches größer!

Als unverzichtbar erachte ich das Aufgreifen von brisanten Themen unserer Zeit: „Wie kann eine sinnzentrierte Lebensführung in unserer Gesellschaft aussehen?“, „Welchen Beitrag kann und soll ich zur Verbesserung menschlicher Existenz leisten?“, „Welchen Stellenwert dürfen/sollen Genuss und Selbstfürsorge haben, wissend, dass die Not um uns herum groß ist, und beispielsweise nahe unserer Staatsgrenzen Menschen um ihr Überleben kämpfen?“, „Welcher Einstellungen bedarf es, um die Welt friedvoller zu machen?“, „Wie können wir ethisch wertvolle Entscheidungen treffen?“ u. V. m.

Im Zeitalter der Moderne stehen Leistungsstreben, ein überhitztes Lebenstempo und überhöhte Selbstansprüche enthumanisierenden Entwicklungen gegenüber. Traditionelle Rollenbilder halten dem Strukturwandel in der Arbeitswelt nicht mehr stand, Bewährtes funktioniert nicht mehr wie früher. Dem Streben nach Wohlstand stehen wirtschaftliche Einbrüche und das wachsende Risiko von (Alters-)Armut gegenüber. Die Spaltungstendenz in der Gesellschaft durch Zuwanderung steigt, politische Entscheidungsverantwortliche wirken überfordert, und das Passungsverhältnis von sozialen Strukturen und individuellen Einstellungen verändert sich. Das und Vieles mehr hat Auswirkungen auf Familien und Individuen.

Das logotherapeutische Menschenbild trägt die Überzeugung in sich, dass jeder Mensch ein Gespür und ein Gewissen hat. Es ist die innere Stimme, welche die Entscheidungen einer Person kommentiert, diese entweder für sinnvoll, fragwürdig oder sinnwidrig befindet. Die zentrale Aufgabe von logotherapeutischer Bildung liegt in der Befähigung zum Gewissensdialog, in der Bewusstmachung der freien Stellungnahme zur Körperlichkeit und psychischer Befindlichkeit mithilfe der geistigen Dimension, im Orten des situativen Aufgabencharakters und in der Bekämpfung diverser Ängste.

Eine interaktiv-dialogisch ausgerichtete Seminargestaltung, bei der die Teilnehmenden aktiv eingebunden sind und sich zudem personal und emotional angesprochen fühlen, erachte ich für bedeutsam. Im besten Fall löst die intensive Befassung mit der Logotherapie bei den Studierenden die Suche und Erprobung neuer Einstellungen aus, der Haltungs- und Handlungsspielraum weitet sich.

Wichtig zu sagen ist mir überdies, dass so viel verwirklichungswürdig wäre, doch gilt es immer auch danach zu forschen, was situativ verwirklichungsmöglich ist. Letzteres ehrlich zu realisieren versuchen, darin liegt der Kern personaler Verantwortung.

 

Abschließend, welche persönliche Botschaft oder Inspiration möchten Sie unseren Teilnehmenden mit auf den Ausbildungs-Weg geben?

„Werte Studierende!

Geben Sie der Bildung Zeit und Raum in Ihrem Leben, die Möglichkeiten der persönlichen Wert-Schöpfung sind grandios! Nehmen Sie sich Zeit zum Lesen, das Franklsche Gedankengut ist aktueller denn je! Befassen Sie sich eindringlich mit Frankls Schriften, forschen Sie nach dem Gehaltvollen: `Zu welcher Textpassage gehe ich in Resonanz?`, `Welche weiterführenden (kritischen) Fragen stellen sich mir und bedürfen einer vertiefenden Befassung?`, `Erschließt sich in mir vielleicht ein Korrektur- oder Entwicklungsbedarf im Hinblick auf meine Lebensführung oder ein Auftrag?`

Bringen Sie sich ein! Fordern Sie die Lehrenden heraus! Halten Sie sich nicht zurück. Beteiligen Sie sich am konstruktiven Austausch innerhalb der Ausbildungsgruppe. Seien Sie gewiss, Sie begegnen Menschenperlen!“

 

Wie hat die Logotherapie Ihr Leben beeinflusst?

Als diplomierte Krankenpflegeperson war ich auf einer Palliativstation tätig. Vor allem waren es die Fragen jüngerer, schwerstkranker Menschen nach der Sinnhaftigkeit der schicksalhaften terminalen Krankheit und des viel zu frühen Sterben-Müssens. Ich pflegte verzweifelte Menschen, für sie waren die Zumutungen der Schickung kaum noch zu ertragen. Angst und Ohnmacht hatten sie vollends erfasst. Ebenso berührten mich jene Personen, welche ihr Dasein verbittert und perspektivenlos fristeten, und das Leben als eine Aneinanderreihung von mühseliger und sinnwidriger Pflichterfüllung verstanden. Auch jene, die weder von finanzieller noch materieller Not berichten konnten und sich innerlich dennoch einsam und haltlos fühlten, motivierten mich zu einer unermüdlichen und intensiven Suche nach möglichen und tragfähigen Antworten. Erst Viktor Frankls Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ und sein Konzept des Willens zum Sinn, eröffneten mir neue lebbare Zugänge, um dem genetischen und erfahrenen Schicksal und den Lebensumständen nicht hilflos, sondern gestaltend gegenüber zu treten. Auf sinnlose Erfahrungen können wir immer noch sinnvoll reagieren; das war für mein Leben und Wirken eine unbeschreiblich wertvolle Einsicht.

 

Wer mehr über meine Person und mein Wirken erfahren möchte, den lade ich herzlich ein, meine Webseite zu besuchen. Dort finden sich Audiovorträge und Fachbeiträge, ebenso meine Publikationen zu logotherapeutischen Inhalten: www.sabinewoeger.at.

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